Die Lawinen-Gefahr ermitteln und falls nötig rechtzeitig warnen


«Man ist hier übrigens der Ordnung der Lauinen so gewohnt, dass man durch Anschauen und Greiffen des Schnees ziemlich genau bestimmen kann, ob es Lauinen Schnee ist, und wie bald man es in diesem Fall wagen dürfe, auf die Weite zu gehen.

Denn nicht die Menge, sondern die Art des Schnees, wenn er nemlich loker ist, lässt Lauinen befürchten, und man hat hier von den Voreltern her die Regel: so lange der lokere staubige Schnee nicht von den Tannen gefallen ist, so lange ist die Gefahr nicht vorbei, und das dauert, nachdem es schon zu schneien aufgehört hat, noch 2, 3 bis 4 Tage.

Bei lokerem Schnee giebt es häufigere, und bei Thauwetter gefährlichere Lauinen. Ein Schnee der auf gefrornen Boden, oder ältern harten Schnee gefallen ist, bildet sich leichter in Lauinen, als wenn er auf ungefrornen Boden kam.

Eine Gegend ist oft nur bei gewissen Winden in Lauinengefahr. Zuweilen trägt ein starker Wind den troknen Schnee von einer Bergseite ganz auf die andere hinüber, alsdann ist nur leztere in Gefahr; oft entsteht die Gefahr erst, wenn gewisse Ebenen, Töbel ec. vom Schnee ausgefüllt sind – auf alle diese Umstände giebt man Achtung.

Die Bewohner dieses Thals sind aber auch Sommers fleissige Wetterbeobachter, weil ihre Heuerndten sich darnach richten müssen, und haben mancherlei Witterungsregeln, welche zuweilen der Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Meteorologen nicht unwürdig wären.»

Aus: Beschreibung des Thals St. Anthönien im Brättigäu. In: Der neue Sammler: ein gemeinnütziges Archiv für Bünden. Band 1, 1805, S. 469-470.