Das Hochwasser 1610 in Graubünden

“Das wasser hat an der 10,000 ritteren tag gross not, elend, schrecken, iamer, unfal und unwiderbringlichen schaden verursachet.

Zuo Ilanz und Truns sint an beiden orten von zweyen underschidlichen wasseren ganz böüm- und crutgärten und usbündig hüpsch äcker und wisen zergraben, versenckt zuo grund und vil schyteren gericht worden ; hat ouch das wasser hüser, stall, mülinen und bruggen hinwäggenommen.

Zuo Ruwis ist an St. Margretentag dz wasser, so durch das dorf abrindt, so grusam ungstüm angloffen, dass (es) 14 ställ und hüser hinwäg gerissen und umgstossen hatt.

Es hat sich an einem heiligen Sonnentag, war S. Margretentag, zwüschent Tusis und Caz, Summa prada genampt, ein stund nachts am abet, als ein schuz rägen kommen, dersälb bach dermassen wütender wys erhebt und also gächligen so grusam dahär geruschet, dass nur der lufft und blast die tächer ufglupfft hat. Und hat yez gemälter bach ganzi hüser uf dem boden hinwäggstossen, 14 personen nacendig us den bettren hinweg gflöztt.

Und ist Gottes gnedige protection, Almacht und grossi barmherziceit ouch am miten in der straf wol zuo bedenncken und kan man sich nit gnuog verwundren, dass in dem grusamen wasser, so stein wie stubenöfen gfüert hat, gemälti 14 personen mit dem läben us dem wasser kon sind, ali, usgnommen ein zechenjerige tochter, deren vatter, Jacob Lertsch, in 2 tagen darnach ouch gestorben.

Und sind under denen personen, so nackendig, vollen lätt und sandt, uszogen worden sint, ouch 2 gar iungi kinder gsin, so ouch mit dem läben darvon kommen sint; das iüngst hat sin muoter am arm ghebt im wasser, ist ieren abhand kon und widrum an arm, ee si us dem wasser kommen sy.

Es waren bi 30 Immenbinckert vor des Jacob Lertsch hus, so al zuo grund gangen sint. Diser wüester bach hat nit nun vil schöni güetter überschwembt und gschentt, sonder den ganzen grunt tüf hinwäg genommen, das man vermeint, es syend da nie wälder, stall noch hüser gstanden.

Insumma der schaden, iez zum andren mal denen von Summa prada und Caz an 3 ortten von wasseren widerfaren, ist unglöüplich und unussprächlich. Wo schöni böümgärten sint gsin, ist iez ein steinwärch, gufer und sand, alsam mitten im Ryn.

Und hat mich höchlichen beduret, wie ich am 24. Juli den ougenschyn ingenommen. Gott tröste die verkümmerten und sye gnedig den anrueffenden, amen.“
.

Quelle: Hans Ardüser’s Chronik. [Fortsetzung] In: Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden, Band 16 (1870-1871)
.


Brügger präsentiert in seiner Naturchronik folgende Informationen zum Ereignis:

“1610. Im Sommer hatten heftige Regengüsse im Vorderrheintal und am Heinzenberg den Ausbruch mehrerer Rüfen (Schlammströme) und Bergbäche veranlasst, worüber folgende Berichte vorliegen:

Am 22. Juni brach in Folge von Platzregen in der Alp Vaccaveccia über dem Walde auf dem Bergrücken hinter dem Kloster Disentis plötzlich eine Rüfe los, welche grosse Erd- und Steinmassen zu Thal wälzend, das Kloster und darunter liegende Dorf gefährdete und einen Schaden von über 500 Gulden verursachte (Synops. Annal. Desert. 13)

An der 10’000 Ritteren Tag (22. Juni a.St.) sind zuo Ilanz und Truns von zweien unterschidlichen Wassern ganz Bäum- und Krutgärten, hübsch Aeker und Wiesen zergraben, versenkt und zu Grunde gericht worden, hat auch Hüser, Ställ, Mülinen, Bruggen hinweggenommen (Ardüs. 247).

Am St. Margretentag einem Sonntag (15. Juli a.St.) hat zu Ruis im Oberland der stark angeschwollene Dorfbach 14 Ställe und Häuser weggerissen; in der darauffolgenden Nacht um 1 Uhr “als ein Schuz Regen kommen”, fand auch ein wüthender Ausbruch des (noch heute) berüchtigen Summaprader Wildbaches (zwischen Thusis und Cazis) statt, dessen Einzelheiten und furchtbare Zerstörungen unser treffliche Ardüser nach eigenem (am 24. Juli eingenommenen) Augenschein sehr anschaulich und ausführlich schildert. 15)."
.

Anmerkungen Brügger zu 13) bis 15) 13) "A. 1610 d. 22 Junii ex Alpe Vaccaveccia Monasterii dorso supra sylvam imminente ad impetum nimbi subito erupit gravissimus torrens saxa molemque terrae, cum periculo Coenobii et submacentis Pagi, secum advehens. Damnum seu damni reparatio constitit ultra 500 fl. ut ferunt. " (Synops. Ann. Dis. s. Beitr. I, 18, Note 5) – 14) “A. a partu S.V. 1610 in ipsa Vigilia S. Johannis Babtiste erupit quidam mons adeo vehementer adducens secum immensos lapides cum (?) impetu aquarum fluentium ut funditus avulserit hortos domus etc. ut nec vestigium eorum. I. Locus aparuerit in pago Truns. – Haec acciderunt tempore Seb. a Castelberg tunc temp. Parochi S. Vigilii in Tafetsch.” Anniversar. auf Pergament fol. 23b Not b. Vigil. Nat. Joh. babte. Zeitgenössische Handschrift Vgl. Beitr. I, Not. 8 und 9, Not. 13.) – 15) H. Ardüser’s “Rhät. Chron.” S. 247-248, wo es u.a. heisst: “Und hat jetz gemeldeter Bach ganzi Hüser uf dem Boden hinweggestossen, … nur der Luft und Blast hat die Tächer ufg’lüpft … hat 14 Personen nakendig us den Bett’ren hinweg g’flözt, in dem grusamen Wasser, so Stein wie Stubenöfen g’füert hat … Dieser wüeste Bach hat nit nun vil schöni Güeter überschwembt und g’schendt, sonder den ganzen Grund tüf hinweg genommen … Wo schöni Böumgärten sint g’sin, ist jetzt ein Steinwerch, Gufer und Sand als am mitten im Rhyn. … Bi 30 Immenbimkert vor des Jac. Lertsch Hus sind all zu Grund gangen” usw.
.

Quelle: Brügger, C.G.: Beiträge zur Naturchronik der Schweiz, insbesondere der Rhätischen Alpen. Teil III. Naturchronik des siebzehnten Jahrhunderts, ersteHälfte. Beilage zum Programm der Bündnerschen Kantonsschule. Buchdruckerei Casanova, Chur, 1879.