Am 25./26. September 1927 kam es in den Kantonen Graubünden, Tessin und St. Gallen sowie im Fürstentum Liechtenstein zu immensen Hochwasser- und Murgangschäden.
In Graubünden verloren 12 Menschen in den Fluten ihr Leben. Eine Kirche, unzählige Gebäude und Ställe, Vieh und Mobiliar wurde vernichtet, Kulturen und Kulturboden weggeführt. Rund 200’000 Gebäudeschäden wurden verzeichnet.
Besonders gross waren die Schäden an Strassen, Brücken, Verbauungen und Bahnanlagen.
Am schwersten betroffen wurde der Kreis Disentis, sodann das Bergell, ferner der Glenner.
Die amtlich geschätzten Schäden beliefen sich auf insgesamt 7.39 Millionen Franken (damaliger Wert). Davon
- Privateigentum: 1.57 Millionen Franken
- Gemeindeeigentum: 1.05 Millionen Franken
- Kantonseigentum: 4.17 Millionen Franken
- Rhätische Bahn: 600’000 Franken
.
Quelle Lanz-Stauffer, H.; Rommel, C.: Elementarschäden und Versicherung. Studie des Rückversicherungs-Verbandes kantonal-schweizerischer Feuerversicherungsanstalten zur Förderung der Elementarschaden-Versicherung. Band II. Im Selbstverlag des Rückversicherungsverbandes, Bundesgasse 20, Bern, 1936.
.
In der Naturchronik der Naturforschenden Gesellschaft Graubündens kann man zum Ereignis folgendes lesen:
“Sehr unerfreuliche Witterungsverhältnisse brachte der September mit seinen gewaltigen, gewitterartigen Regenfällen, denen jeweils starke Abkühlungen folgten. Ein solcher Regen fiel in Chur am 11./12. mit einer Niederschlagsmenge von 21,8 mm. Am 12. morgens waren die Bergspitzen angeschneit. Erneute Niederschläge erfolgten in der Nacht vom 22./23. mit 31,5 mm. Diese setzten sich am 24. und 25. fort, erreichten in Chur (meteorologische Station) an den beiden Tagen Regenmengen von 20,5 und 59,5 mm (auf Bernhardin«Hospiz 186,2 und 75,8 mm), und führten zu einer Hochwasserkatastrophe, wie eine solche in Graubünden seit 1868 nicht mehr erlebt wurde. Am 26. morgens schneite es in den Bergen bis tief in die Waldsregion herunter, und der Hochgang der Gewässer begann wieder abzunehmen.
Die Scalära- und Maschenzerrüfe zwischen Chur und Trimmis brachen bereits in der Nacht vom 22./23. September aus, gewaltige Schuttmassen talwärts wälzend, die Landstrasse auf weite Strecke überdeckend.
Katastrophalen Umfang nahm das Hochwasser am Sonntag, den 25. September an, und ist besonders das Oberland davon schwer betroffen worden.
In Tavanasa brachten die mächtigen Wasser des Rheins die neue Betonbrücke zum Einsturz, und eine gewaltige Rüfe, welche daselbst von der Obersaxer Seite her zu Tale fuhr, riss eine Mühle mit Wohnhaus, ein Doppelhaus und ein Bahnwärterhäuschen weg, wobei sieben Menschen ums Leben kamen.
Auf Gebiet von Waltensburg brach eine grosse Rüfe aus, welche oberhalb des Dorfes verheerend in Güter und Wege stürzte und das Leben dreier Männer forderte.
In Ringgenberg ging, wie anno 1868, aus Val Zavragia eine mächtige Rüfe nieder, welche in weitem Umfange das Wiesland überschwemmte und verwüstete. Gegen 4 Uhr nachmittags waren die Mauern des grossen Doppelhauses unter der Kirche durchfressen und gleichzeitig auch das Fundament der Kirche, die bald darauf zusammenstürzte. Das Haus verschwand, und von der Kirche blieb einzig der Turm und die Chorwand stehen.
Zwischen Truns und Tavanasa wurde der Bahnkörper der Rhätischen Bahn schwer beschädigt. Das Geleise hing an einzelnen Stellen in der Luft über dem Rhein, der das Wuhr durchfressen hatte. Ein Eisenbahnzug wurde auf dieser Strecke blockiert.
Im Somvixertal sind acht Ställe zerstört und die Alp „Gegia nova" verwüstet worden. Brücken und Stege wurden weggerissen, und ein Mann kam ums Leben. An Holz sollen einzig aus dem Somvixertal zirka 1000 Festmeter von Rüfen und von den Fluten des Somvixer Rheins fortgetragen worden sein.
Zwischen Versam und Valendas wurde die Bahnlinie unterbrochen.
In Reichenau räumte der Rhein das durch eine 2 Meter hohe Mauer geschützte Holz- und Bretterlager der Firma Beck fast vollständig.
Der Hinterrhein trat an verschiedenen Orten über die Ufer. Bei Nufenen beschädigte er auf weite Strecken die Strasse.
Zwischen Medels und Splügen riss er eine Brücke weg. Ausserhalb Sufers sperrte ein grösserer Erdrutsch die Strasse. Splügen war am 26. vom Verkehr ganz abgeschlossen, da auch die Splügenpost aus Italien nicht verkehren konnte.
Unterhalb Andeer und bei Clugin riss der Hinterrhein grosse Flächen des Kulturlandes weg.
Im Churer Rheintal erlitten die Rheinbrücken von Felsberg, Haldenstein und Untervaz Defekte. Zwischen Zizers und Igis brach die Bildrüfe wieder aus und überschüttete Landstrasse und Wiesen.
Im Schanfigg und Prätigau verursachte das Hochwasser verhältnismässig geringen Schaden. Der Schraubach bei Schiers griff das Wuhr an, im Fuchsenwinkel zwischen Schiers und Jenaz verschüttete eine Rüfe Strasse und Bahnlinie, und auch an verschiedenen anderen Orten, insbesondere in Valzeina gingen zahlreiche Rüfen nieder.
Gewaltige Verheerungen und grosse Not brachte das Hochwasser dem Rheingebiet des Kantons St. Gallen und des Fürstentums Liechtenstein.
Im Oberengadin ist die Rhätische Bahn von Bevers an unterbrochen worden.
Der Flazbach überschwemmte den Bahnhof von Samaden. Die Campagna zwischen Bevers und Samaden glich einem See. Der Berninabach führte aussergewöhnlich viel Wasser. Der Eisenbahndamm bei Pontresina wurde in einer Länge von zirka 250 Meter von dessen Fluten weggerissen, und ebenso eine Brücke unterhalb Berninahäuser.
Auch im Puschlav waren die Wildbäche mächtig angeschwollen, und der Poschiavino trat an verschiedenen Stellen über die Ufer.
Sehr schwer wurde das Bergell vom Hochwasser heimgesucht. Die Orlegnia stürzte sich mit gewaltigen Geschiebemassen auf Casaccia und verwandelte die Strasse in ein wildes Flussbett. In Vicosoprano wälzte die Albigna grosse Schuttmassen nach dem Dorfe und demolierte die Dorfstrasse. Quellen und Wasserleitung wurden verschüttet.
In Stampa wurden die Brücke Castelmur, die alte Gerberei, drei Häuser und die Sägerei von der Maira weggeschwemmt, und das Hotel Piz Duan erlitt
grossen Schaden.
In Promontogno ist die Mühle Scartazzini stark beschädigt worden. Die Quelle, welche Brunnen und Hydranten speiste, verschwand.
In Bondo ist die alte Brücke, welche nach Spino führte, weggerissen worden, und unterhalb Bondo bis Castasegna spülte die Maira grosse Wiesenkomplexe weg."
.
Quelle Naturchronik für das Jahr 1927. Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden. Band 66 (1927-1928)